Ankunft

Häftlinge und Gefangene der Emslandlager

Wolfgang Langhoff

Wolfgang Langhoff, Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager, Zürich 1935.

Gnadenlos schikanierten SS-Wachleute die Häftlinge auf dem Weg vom Bahnhof Dörpen in das Konzentrationslager Börgermoor. „Ausgeruht“ und „trainiert“ schlugen sie auf die fast sechshundert Männer ein, vierzehn Kilometer lang.

Besonders eindrücklich hat der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff die Szenen dieser Ankunft in seinem 1935 veröffentlichten Buch „Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager“ beschrieben.

„Wir setzen uns in Trab. Einige kommen nicht mit. S.S.-Männer springen dazwischen.

„Los, los, ich soll Dir wohl Beine machen!“

„Verdammte Schweine, könnt Ihr keinen Abstand halten!“

Wir rennen im Laufschritt aus dem Wald. Vor uns dehnt sich endlose Heide. Tempo! Tempo!

Wolfgang Langhoff, Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager, Zürich 1935, S. 121.

Wie Langhoff waren die meisten Opfer nach der monatelangen Gefängnishaft „schlapp“. Ihnen „zitterten die Knie“ beim Anblick der SS. „Das Herz klopft wie wild“, schrieb Langhoff über sich. Auch, weil die Gewalt die Häftlinge unerwartet traf. Nach Folter und Entbehrung hatten sie auf der Zugfahrt zuvor „fast das Gefühl (…), frei zu sein“.

Das Lager war noch nicht fertig. „Wir stolpern über aufgeworfene Kanalisationsgräben, Schutthaufen, Bohlen und Planken.“ Innerhalb eines Monats hatten die ersten Häftlinge, die seit dem 20. Juni im KZ Börgermoor waren, weitere acht Baracken errichtet, Wege angelegt, Zäune ausgebaut. Bis Ende des Monats kamen 160 Häftlinge mit zwei weiteren Transporten aus Westfalen und Ostfriesland an.

Häufig findet sich der Hinweis, Langhoff sei „Mitte Juli“ in das Lager gebracht worden. Tatsächlich war er einer von über 560 Häftlingen, die am 1. August mit einem Sammeltransport aus verschiedenen Gefängnissen der Rhein-Ruhrregion und von mehreren Bahnhöfen aus das KZ Börgermoor erreichten. Die vielen Gefangenen sorgten auf ihrem Marsch zum Lager für Aufsehen: „Bauern mit ihren Kindern (…) glotzen uns an.“

Gütersloher Volks-Zeitung, 4.8.1933. Es fällt auf, wie sehr der Bericht eine sichere Bewachung des Transports durch die Polizei und die SS betont.

Den Nationalsozialisten „verhaßt“

Wolfgang Langhoff war bereits am 28. Februar 1933, am Tag nach dem „Reichstagsbrand“, verhaftet worden. Seit 1928 hatte er sich während seiner Tätigkeiten am Schauspielhaus und an den Städtischen Bühnen in Düsseldorf zunehmend für die KPD engagiert. „Ich studierte Gesangschöre ein, leitete Laienaufführungen und war der nationalsozialistischen Bewegung aus diesem Grunde verhaßt.“ Langhoff leitete die Gruppe „Nordwest-ran“, die „Agitprop“ betrieb: Agitationspropaganda in den zunehmenden Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten, aber auch gegen die Sozialdemokraten. Er war zudem Mitglied der „Assoziation revolutionärer bildender Künstler“, zu der neben vielen anderen Otto Dix, Georg Grosz und László Moholy-Nagy gehörten.

Nach seiner Verhaftung war Langhoff zunächst zahlreichen Verhören mit Folter und Schikanen in Düsseldorfer Gefängnissen ausgesetzt. Daran beteiligt war auch Fritz Weitzel, seit Mai 1933 Polizeipräsident im Regierungsbezirk Düsseldorf. Als Führer des SS-Oberabschnitts West war es auch Weitzel, der die Taten der SS in den frühen emsländischen Konzentrationslagern zwischen Juni und November deckte, als Langhoff dort inhaftiert war.

Die Schläge erschütterten Langhoffs Vertrauen, sich auf Mindeststandards der Menschlichkeit verlassen zu können. Hinzu kam die Ungewissheit: „Ein Schutzhäftling weiß nichts. (…) Von dem Tag seiner Haft ab steht er außerhalb jedes Rechtes. Er ist jeder Willkür preisgegeben.“ Langhoffs Erfahrungen zahlten auf seine ohnehin großen Zweifel an der liberal-kapitalistischen Gesellschaftsordnung ein. „Die Moorsoldaten“ erzählt, wie die Nationalsozialisten es nicht schafften, ihn zu brechen, und er sich in seiner kommunistischen Überzeugung bestätigt sah.

„Kein Mensch mehr – irgendein Tier“

Während seiner vier Monate im KZ Börgermoor durchlebte Wolfgang Langhoff die gewalttätigste Phase der frühen emsländischen Konzentrationslager. Am 13. Juli hatte ein SS-Kommando die Bewachung von der Polizei übernommen. Obwohl im nahegelegenen Papenburg eine Verwaltungsstelle eingerichtet worden war, verlor der Staat zusehends die Kontrolle über die Lager, die mit Börgermoor im Juni, Esterwegen im August und Neusustrum im September nacheinander belegt wurden.

Die SS errichtete ein Schreckensregime. Sie lebte Rachegefühle, Gewaltlust und Machtwahn an den Häftlingen aus. Noch schlimmer als in Börgermoor traf es, so Langhoffs Wahrnehmung, die Insassen des KZ Esterwegen, die sie regelmäßig bei der Moorarbeit trafen und deren Baracken sie mit aufgebaut hatten. Zum Alltag der Gewalt gehörten auch besondere Orte, an denen sie sich verdichtete: der nächtliche Appell, die Moorarbeit, der Arrest.

Wolfgang Langhoff, Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager, Zürich 1935, S. 165.

Als im Oktober – auch veranlasst durch den Bericht von Sally Silbermann – Ermittlungen wegen der Zustände in den Lagern aufgenommen wurden und Besichtigungen durch Verantwortliche von Polizei und Justiz stattfanden, zeichnete sich das Ende der SS-Herrschaft ab. Die staatlichen Verantwortlichen, nunmehr selbst Nationalsozialisten, wollten ihre Macht in Preußen gegenüber der SS sichern.

Am 6. November wurde die SS durch Polizeieinheiten abgelöst, die wiederum wenige Wochen später die Bewachung an eine neu aufgestellte Wachtruppe abgaben. Sie wurde aus SA- und SS-Männern rekrutiert, von denen nicht wenige bereits vorher zur Wachmannschaft gehört hatten. Sie wurden analog zu Hilfspolizeibeamten in den Staatsdienst übernommen, waren aber der SA zugeordnet. Der Terror blieb.

„Die Moorsoldaten“

Wolfgang Langhoff bekam die endgültige Etablierung der neuen Wachtruppe nicht mehr mit. Am 1. Dezember wurde er mit weiteren zwanzig Häftlingen in das KZ Lichtenburg transportiert. „Die Moorsoldaten“ umfasst Langhoffs gesamte Haftzeit bis zur Entlassung am 31. März 1934. Drei Monate später konnte er in die Schweiz fliehen. Unklar ist, wann genau Langhoff seinen Bericht verfasst hat. Einer Version von ihm zufolge ist er Ende 1934 innerhalb weniger Wochen entstanden.

Vielleicht bezog sich Langhoff dabei aber auf die Überarbeitung eines Manuskripts, das er bereits nach seiner Entlassung begonnen und dem Spiegel Verlag in Zürich nach seiner Flucht zur Veröffentlichung vorgelegt hat. Eine mögliche erste Fassung oder ihre Überarbeitung sind zwar nicht überliefert. Aber es ist bekannt, dass der Verlag von Langhoff einige Änderungen verlangte. Zum Beispiel musste er die Gewaltschilderungen abschwächen und auf explizite Hinweise zu seinen kommunistischen Aktivitäten verzichten.

Denn der Verlag fürchtete, Langhoffs Buch könnte als übertriebene „Gräuelpropaganda“ abgelehnt werden. In Deutschland selbst wie auch im Ausland war die Skepsis gegenüber den ersten Berichten über die nationalsozialistische Verfolgung groß. Um ihr zu begegnen, wurde der Titel um den Vermerk „Unpolitischer Tatsachenbericht“ und eine handschriftliche Erklärung des Autors ergänzt: Er „schwöre, die reine Wahrheit zu sagen“. Ähnlich hatte der frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gerhart Seger seine 1934 erschienene Darstellung seiner Haftzeit über das KZ Oranienburg begonnen. So hatte es auch der KPD-Funktionär Hans Beimler im ersten Bericht dieser Art gemacht, der Ende 1933 in Moskau unter dem Titel „Im Mörderlager Dachau“ veröffentlicht worden war. 

Trotz unterschiedlicher Stile sollten diese Berichte als beglaubigte, authentische Zeugenaussagen wahrgenommen werden. Deshalb finden sich bei Langhoff wie bei Beimler und Seger viele Details, Abläufe werden genau dargestellt, der Stil ist insgesamt eher sachlich bis nüchtern gehalten. „Langhoffs präzise Lakonie macht die Qualen der Häftlinge für den Leser fast körperlich spürbar.“ (Bajohr 2018: 41) Er verwendete an vielen Stellen wörtliche Rede und schilderte immer wieder seine persönliche Verfassung. Gleichzeitig nutzte er aber auch anschauliche Schilderungen, Spannungsbögen und einen szenischen Aufbau der Erzählung. Der Bericht weist durch Langhoffs schriftstellerischen Blick für Strukturen, Verflechtungen und Situationen eine bemerkenswerte dokumentarische und literarische Qualität auf.

Vor allem stellte Langhoff im Zusammenhang mit allen Bereichen des Lagerlebens die politisch begründete Solidarität unter den Häftlingen heraus: „(D)ie gemeinsame Weltanschauung (war) der Garant eines kameradschaftlichen Lebens.“ Das schloss aus, sich an sozialdemokratischen Mithäftlingen wie Ernst Heilmann zu vergehen, obwohl die SS dies von den Kommunisten verlangte.

Langhoff wandte sich hier vehement gegen den in Exilkreisen einflussreichen Bericht von Seger, der für das KZ Oranienburg anderes behauptet hatte. Allerdings sind auch bei Langhoff Vorbehalte und Verachtung gegenüber den sozialdemokratischen „Bonzen“ offenkundig. Der Kampf um die „Einheitsfront“ wurde in den Augenzeugenberichten weitergeführt.

Ein unerwarteter Erfolg

Als „Die Moorsoldaten“ im Januar 1935 erschien, war die erste Auflage bereits innerhalb weniger Tage vergriffen. Acht weitere folgten rasch aufeinander. Verschiedene Zeitungsabdrucke und Besprechungen trugen zur schnellen Verbreitung bei. Das „Pariser Tageblatt“ druckte das Kapitel „Zirkus Konzentrazani“ ab und trug damit auch zur Verbreitung des „Moorsoldatenliedes“ in Exilkreisen bei, das bei dieser Gelegenheit am 27. August erstmals gesungen wurde.

Pariser Tageblatt, 17.3.1935

Bereits im Jahr des Erscheinens wurde das Buch ins Englische sowie in acht weitere Sprachen übersetzt. Der „Jewish Frontier“ publizierte im September 1935 einen längeren Auszug aus „Rubber Truncheon“ unter dem Titel „The Concentrationists“. Viele Leserinnen und Leser wandten sich zustimmend an Langhoff. Angesichts der großen Popularität des Buches übten die Nationalsozialisten Druck auf die Schweizer Regierung aus. Sie untersagte Langhoff unter anderem, Vorträge zu halten. 1936 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.

Trotz seines unsicheren Aufenthaltsstatus engagierte sich Langhoff gewerkschaftlich und als Leiter einer kommunistischen Zelle am Züricher Schauspielhaus. Auch weil Versuche scheiterten, in die Sowjetunion oder in die USA auszuwandern, blieb Langhoff bis Kriegsende in der Schweiz. Er kehrte nach Deutschland zurück, wo erste Nachkriegsausgaben seines Buches 1946 in München und ein Jahr später in Ost-Berlin erschienen. Langhoff wurde zunächst zum Generalintendanten der Düsseldorfer Bühnen ernannt, wechselte aber nach wenigen Monaten aufgrund wachsender Konflikte wegen seiner kommunistischen Haltung und Mitgliedschaft in der KPD nach Ost-Berlin. Als Leiter des Deutschen Theaters wurde Langhoff zu einem wichtigen Funktionär in der Kulturpolitik der DDR.

Ein historisches Dokument und eine kaum bekannte Erzählung

„Die Moorsoldaten“ ist bis heute der bekannteste Augenzeugenbericht zur Geschichte der Emslandlager geblieben. Das ist der weiten Verbreitung nach der Erstveröffentlichung, Langhoffs Bekanntheit und dem Stil seiner Schilderung zu verdanken. Das Buch vermittelt ein außerordentlich differenziertes Bild der Gewalt der Wachleute, des Verhaltens der Häftlinge untereinander und von Langhoffs eigenem Innenleben. Es ist auch ein historisches Dokument der Selbstbehauptung gegenüber dem Terror der SS. 

Wolfgang Langhoff, Eine Fuhre Holz. Erzählung, Berlin (Ost) 1949.

Weniger bekannt ist hingegen Langhoffs Erzählung „Eine Fuhre Holz“ von 1936, die ein Jahr später in Moskau veröffentlicht und 1949 neu aufgelegt wurde. Darin schildert Langhoff eine Begebenheit im KZ Börgermoor vom März 1934, als er bereits seit mehreren Monaten nicht mehr dort war. Ein Kommando aus Häftlingen soll den Totenzug zur Beerdigung eines namenlosen Häftlings des KZ Esterwegen im Moor bilden. Minutenlang verweigern sie sich der Aufforderung, das Grab zuzuschütten. Der mit dem Bau des Sarges beauftragte Häftling, ein Schreiner, schloss sich dem Protest der politischen Kameraden an: „(D)er Lebende (…) war der erste, den er (der unbekannte Häftling) durch seinen Tod in die Reihen der Kämpfer führte.“ (Langhoff 1949: 47).

Weiterführende Literatur

Frank Bajohr, Wolfgang Langhoff: Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager, in: Markus Roth/Sascha Feuchert (Hg.), HolocaustZeugnisLiteratur. 20 Werke wieder gelesen, Göttingen 2018, S. 30-41. 

Charlotte Kinzinger, Die Moorsoldaten (1935), URL: https://www.fruehe-texte-holocaustliteratur.de/wiki/Die_Moorsoldaten_(1935).

Hans-Peter Klausch, Tätergeschichten. Die SS-Kommandanten der frühen Konzentrationslager im Emsland, Bremen 2005.

Wolfgang Langhoff, Eine Fuhre Holz. Erzählung, Berlin (Ost) 1949.

Esther Slevogt, Den Kommunismus mit der Seele suchen. Wolfgang Langhoff – ein deutsches Künstlerleben im 20. Jahrhundert, Köln 2011.

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